Heute geht es um ein Thema, das nicht nur im Art of Hosting eine Rolle spielt: die Kunst, wirklich gute Fragen zu stellen. Meist haben wir bei gehosteten Veranstaltungen auch eine Frage schon in der Einladung. “Zieht” sie nicht, kommt niemand. So einfach ist das. Jeder Prozess und der Ablauf eines Treffens wird ebenfalls von Fragen geleitet. Thomas hat auf dem Blog hier schon das Thema der Check-in-Frage angesprochen. Fragen sind das A und O, das Rückgrat und ein wichtiger Baustein zum Gelingen – egal, ob es um eine Konferenz, eine Sitzung, ein wöchentliches Jour fixe, ein Teambuilding, um ein Vernetzungstreffen oder sonst was geht. Überlegungen rund um gute Fragen begleiten mich schon sehr lange, sei es als Journalistin, als Mediatorin, als Coach und jetzt im Art of Hosting. Heute möchte ich mit dir ein paar Überlegungen dazu teilen.
Die beste Frage
Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir jungen, ambitionierten Leute in der Journalistenausbildung in den 90-er Jahren mit Videos und Analysen darauf hin getrimmt wurden, von unseren Interviewpartnern die Informationen heraus zu quetschen, die diese eigentlich nicht preis geben wollten. Für mich war das ein Spiel: sprachlich, rhetorisch, logisch und auch eines, bei dem die Geschwindigkeit im Denken eine Rolle gespielt hat. In der freien Wildbahn des Journalismus wurde das dann zwar nicht immer, aber doch praktiziert: nachhaken, in die Enge treiben, oft auch bloßstellen.
Diese Form der Fragestellung hat einen bitteren Nachgeschmack bei mir hinterlassen, war es doch meist wie ein Kampf, bei dem nur einer oder eine gewinnen konnten. Trotzdem möchte ich diese Erfahrung und Erkenntnis auf keinen Fall missen, sie war schließlich die Grundlage dafür, weiter zu suchen und auch zu finden. Und Journalismus hat auch seine wunderbaren Seiten, nur zur Klarstellung :-).
Am Ende blieb für mich die Frage, ob dieser Kampf die Welt auch nur ein Stückchen besser gemacht hat: Wurde dadurch ein Kind vor dem Hungertod gerettet? Hat ein einziger Jugendlicher dadurch einen Job bekommen? Haben sich dadurch neue Perspektiven für unser Zusammenleben in Dorf, Stadt oder Land aufgetan?
Der Reflex der (schnellen) Antwort
Bei der Frage bleiben, lange über ihre Formulierung nachzudenken, das sind wir so gar nicht gewohnt. Wir sind eher darauf getrimmt, schnell Antworten zu finden und zu geben und dann zum nächsten Punkt weiter zu gehen. Das Verharren bei der Fragestellung und mit der Frage kann natürlich manchmal auch ganz schön unangenehm sein: Unsicherheit, nicht wissen, was kommt, in welche Richtung es gehen könnte… Gute Fragen zu stellen lernen wir erst so allmählich. Wie kann das gehen?
Fragen, die öffnen und neue Dimensionen erschließen
Einen völlig neuen Zugang hat sich mir dann in der Mediation gezeigt, wo es die Aufgabe von uns Mediatoren ist, mit Fragen durch einen Prozess hin zu einer für alle tragbaren Lösung zu führen. Es geht darum, die Medianten zu sich und ihren Bedürfnissen und Werten zu bringen und in der Lösungsphase “den Kuchen zu vergrößern”, also zu fragen, ob es zusätzliche Ressourcen für eine gute Lösung gibt. An diese denken wir gar nicht, weil sie außerhalb unseres bisherigen Rahmens liegen.
Ähnlich wie in der Mediation sind auch im Art of Hosting Fragen, die öffnen, die zum Denken anregen und neue Verbindungen schaffen diejenigen, mit denen wir arbeiten. Sie zu finden, braucht allerdings Zeit und Energie. Ich denke mir manchmal: “Unglaublich, wie viel Zeit wir in Hosting Teams für eine Frage aufwenden.” Ja, es ist unglaublich, aber es braucht einfach auch Zeit, um DIE Frage zu finden. Das ist ein intensiver kreativer Prozess im Team, das ist ein Feilen an Worten und ein Hineinspüren in das, was diese Worte bei uns auslösen, welche Assoziationen da sind, was es für unsere potenziellen Teilnehmer und Gäste heißen kann. Manchmal auch ein Testen bei möglichen Teilnehmern oder Menschen, die dem Thema nahe sind.
Im AoH-Handbuch aus dem Jahr 2012 vom Training in Wien habe ich folgendes Zitat von Albert Einstein gefunden:
Die Frage, um Großes entstehen zu lassen
Wenn wir mit Art of Hosting einladen, dann ist die Frage der wesentliche Teil der Einladung. Sie sollte die Kernfrage sein, die auf eine Entdeckungsreise einlädt, neugierig macht und Herz, Hirn und Bauch heraus fordert und aktiviert. Um das zu schaffen, muss sie die Menschen dort abholen, wo sie gerade stehen, und das auf eine einfache, klare Art und Weise, das heißt mit einer eben solchen Sprache.
Eine sehr gelungene Frage finde ich diejenige, die zum Münchner Training im Mai einlädt: “Wie gestalten wir co-kreatives Lernen für wirksames Handeln?” Mich spricht diese Frage sehr an und hätte ich noch kein Training gemacht, würde ich es mir überlegen :-). Diese Frage öffnet einen Raum, der einlädt, gemeinsam über das Gestalten von Lernen nachzudenken, gleichzeitig aber nicht irgendein Lernen, sondern eines, das Richtung Umsetzung und Handeln geht. Es riecht für mich nach Kreativität, Spielen, Ausprobieren auf dem Weg dahin.
In ihrem Aufsatz “The Art of powerful questions” schreiben Eric E. Vogt, Juanita Brown und David Isaacs, dass viele Treffen daran scheitern, dass es überhaupt keine Frage gibt. Andererseits zeigen sie auf, wozu starke Fragen führen können: Sie treiben Wissenschaftler an und sie könnten Imperien wie McDonald’s entstehen lassen. Den Gründer hat die Frage bewegt: “Wo auf dem Weg kann ich gute Hamburger bekommen?” Bevor dieser Blog Gestalt annahm, hat mich die Frage bewegt: “Wie kann ich meine Leidenschaft fürs Schreiben und meine Leidenschaft für gutes Gastgeben verbinden?”
Drei Dimensionen einer Frage
- Die sprachliche Konstruktion einer Frage. Geht es um eine Entscheidung, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann, oder geht es darum, mit einem W-Fragewort ein Feld aufzumachen, um Neues zu heben: Was? Wann? Wo? Wie? Warum? Und manchmal kann es sein, dass man dafür nur ein Wörtchen ändern muss. Ein schönes Beispiel wird hier von HP genannt. Dort wurde die Frage “What does being the best industrial research lab in the world mean?” umformuliert in “What does being the best industrial research lab for the world mean?” und hat endlich die gewünschten Gespräche in Gang gebracht.
- Sinn und Zweck des Prozesses, der Sitzung, des Meetings. Passt die Frage zu dem, was gebraucht wird? Passt sie zu dem, was herauskommen soll?
- Die Annahmen in einer Frage. Die Bedeutung der einzelnen Worte. Ein schönes Beispiel war jüngst eine Rückmeldung auf eine Einladung vom Waldviertler Salon: Die Wortwahl würde wie die von einer Sekte klingen. Da müssen wir uns jetzt genau anschauen, wo in dieser für uns Gastgeberinnen ganz “normalen” Einladung diese Botschaft versteckt war.
Die richtige Frage erlaubt es, dass Menschen sich darauf einlassen. Das geschieht, wenn sie nicht zu groß ist, sonst stellt sich schnell das Gefühl von Überfordertsein oder Wurschtigkeit ein. Ein wenig vorsichtig gehe ich mit Warum-Fragen um. Sie können die Auswirkung haben, dass Menschen glauben sich rechtfertigen zu müssen.
Sie ist geboren!
Die Frage ist da, wenn man es einfach spürt, dass es so ist. In diesem magischen Moment hört das ganze logische Denken, das Abwägen, das Argumentieren auf. Dann ist man im Schaffensprozess dorthin vorgedrungen, wo Neues entstehen kann, ganz unten im U, wie Otto Scharmer es benennt. Dann stellt sich eine ganz seltsame Stille und Ruhe ein. Es ist klar, dass wir durch das Nadelöhr hindurch sind und diese Frage Energie hat und Energie erzeugt, aus der Neues entstehen kann. Und sei es, dass dieses “Neue” eine weitere Frage ist, die uns wieder tiefer in die Materie, in das gemeinsame, kreative Erschaffen bringt.
Und deine Fragen?
Welche Frage war es, die dich oder deine Organisation, deinen Verein, deine Familie, dein Unternehmen weitergebracht hat? Teile sie mit uns in den Kommentaren unten!
Lasst uns gemeinsam Räume für gute Gespräche schaffen,
Ilse