Was verstehen wir unter dieser, auf den ersten Blick etwas vagen Übersetzung von “four-fold practice” aus dem Englischen?
Mein Handbuch vom Wiener Training 2012 beschreibt die vier Dimensionen als den “Schlüssel zum Erfolg bei Art of Hosting”. Chris Corrigan bezeichnet sie im kurzen Film auf der Startseite von www.artofhosting.org als das “Herz der DNA von Art of Hosting”. Ich glaube, das kommt der Sache sehr nahe. Und beim Recherchieren und Schreiben dieses Artikels wurde mir auch immer klarer, dass gerade dieser Film sehr zurecht auf der Startseite der “offiziellen” Webseite zu finden ist. Um Hosten nachhaltig zu machen und um effektiv zu werden, braucht es alle vier dieser Pfeiler. Dann erst setzt sich das Gebäude, das das gehostete Gespräch ist, ruhig und sicher darauf.
Von welchen vier Elementen sprechen wir?
Gemeinhin werden folgende vier Punkte als die “Dimensionen der AoH-Praxis” zusammen gefasst:
- präsent sein und sich selbst hosten,
- an Gesprächen teilnehmen, damit selbst üben, beitragen und praktizieren,
- selbst zu Gesprächen einladen und diese hosten sowie
- sich in die Gemeinschaft der Lernenden einbringen, co-kreieren und beitragen.
1. Präsent sein
Wirklich da zu sein ist wohl eine der schwierigsten Übungen für uns Menschen. Leicht schweifen die Gedanken sorgenvoll oder träumerisch in die Zukunft oder kreisen um Dinge der Vergangenheit, die wir sowieso nicht ändern können. Da wird die Gegenwart, das Präsentsein, das Leben im Augenblick zu einer Herausforderung. Deshalb braucht diese erste Hosting-Dimension wirkliches Kümmern und Hosten von sich Selbst.
Sich um andere kümmern kann da manchmal leichter sein. Sich selbst hosten beschränkt sich nämlich nicht nur darauf, ab und zu in ein Spa zu gehen und dunkle Schokolade zu essen, wie Kathy Jourdain es in einem Text auf dem AoH-Ning es ausdrückt. Es umfasst auch, “sich selbst an Orten zu treffen, wo man einem lieber nicht begegnet.” Das finde ich eine sehr treffende Beschreibung: Sich mit sich selbst zu konfrontieren, sanft und bestimmt hinzuschauen, was ist. Auch wenn wir dabei Züge an uns selbst entdecken, die uns nicht gefallen.
Was auch zum Da-Sein im Hier und Jetzt gehört, ist die Offenheit und Neugier für das, was kommt. Gut in uns selbst verankert können wir das notwendige Chaos aushalten und den Raum für die Gespräche, die letztlich das Ziel sind, halten.
Diese erste Dimension ist meiner Meinung nach die Basis für unsere gesamte Arbeit, weil wir als Hosts ja in erster Linie mit uns selbst als Werkzeug arbeiten. Und welcher gute Handwerker achtet nicht darauf, sein Werkzeug zu schärfen, es zu schleifen, zu pflegen und zu ölen? Womit das am besten gelingt, gilt es für jede und jeden heraus zu finden. Das kann – abhängig von Person und Situation – eine Tasse Tee, eine Massage, eine Joggingrunde, Yoga oder eine Achtsamkeitsübung sein.
2. An Gesprächen teilnehmen, damit selbst üben, beitragen und praktizieren
Darunter verstehen wir, dass wir selbst als Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Gesprächen teilnehmen. Das umfasst das Üben aller so wichtigen Teile, die ein Gespräch zu einem bedeutenden machen: vorurteilsfrei zuzuhören, mit der Offenheit von Geist, Herz und Verstand sprechen und aus der eigenen Weisheit, der Erfahrung, dem Wissen beitragen.
Das umfasst auch einen achtsamen Umgang mit den anderen Teilnehmern und die Beantwortung der Fragen: Was will von mir gesagt werden? Wo kann ich wirklich beitragen? Und damit auch die Kehrseite: Was ist nur Blabla und muss daher gar nicht ausgesprochen werden? All diese Unterscheidungen werden mit der Übung klarer, Schritt für Schritt. Dabei werden Intuition, das Hinhören und Übersetzen von Signalen des Körpers und andere Ebenen geschult. Ausgelernt hat man aber wohl nie ;-).
Indem wir uns in gehostete Gespräche einbringen, lassen wir uns hosten. Ich merke immer wieder, wenn ich diese Dimension zu wenig pflege, dass mir etwas fehlt. Vollkommen zu Recht sahen daher die Gründerväter und -mütter vor einem guten Jahrzehnt auch darin eine fundamentale Voraussetzung für Art of Hosting. Wie sollen wir auch selbst feststellen, wie sich zum Beispiel eine Intervention des Hosting Teams anfühlt, wenn wir selbst niemals auf der “anderen” Seite sind und auch das aus der eigenen Erfahrung kennen?
3. Zu Gesprächen einladen und sie hosten
Auch dieser Punkt geht nur über Übung und ständiges Tun: Gute und bedeutungsvolle Gespräche anzustoßen und sie zu hosten. Dazu zählen, sich mit Herz und Hirn auf den Prozess einzulassen, Notwendigkeit und Zweck zu erkennen, die kraftvollen Fragen zu entwickeln, den Raum für die Emergenz zu halten, also für das, was kommen will. Wichtige Punkte sind auch noch, den physischen Raum zu gestalten und – last, but not least – an die Ergebnisse zu denken, wie diese gesammelt und damit geerntet werden können.
Hosten ist jedes Mal ein Schritt aus der eigenen Komfortzone und eine Übung, im eigenen Vertrauen zu sein. Die Annahme, dass alles Notwendige vorhanden ist und dass die Menschen im Raum die Lösung schon mitbringen, muss so lange aufrecht erhalten werden, bis sie sich auch tatsächlich an der Oberfläche zeigt. Das verlangt nach Mut, das verlangt nach Durchhalten und ein Ankämpfen gegen den Impuls, manchmal “den Sack schnell zuzumachen”, weil es unangenehm werden kann. Am Ende lohnt es sich und nach einer guten Hosting-Erfahrung bin ich jedes Mal wieder voller Energie :-).
Toke Paludan Moeller sagt im schon zitierten Film zu den vier Dimensionen des Hostens: “Was wir üben, so wird unsere Zukunft ausschauen, zu dem werden wir.” In guten Gespräche und dem gemeinsamen Erschaffen liegt viel Hoffnung für eine bessere Zukunft. Üben wir also weiter.
4. Zur Gemeinschaft der Lernenden beitragen und gemeinsam kreieren
Diese weltweite Gemeinschaft der Praktizierenden – und damit der Lernenden – braucht Aufmerksamkeit, ebenso wie die Beziehungen zu den Menschen, mit denen man arbeitet. Sie werden zur Grundlage, damit etwas Gutes entstehen kann. Mit der “Initiation”, wie Rainer von Leoprechting ein Drei-Tage-Training nennt, tritt man in Verbindung mit dieser Community, die von Geben und Nehmen lebt und sich so weiter entwickelt.
Immer mehr sehe ich auch eine Verantwortung von Hosts, die über den Hosting-Kreis hinaus geht. Dabei geht es darum, jenen, die ähnlich ticken und dabei noch wenig Verbündete haben, einen Ankerplatz zu bieten. Schließlich geht es ja nicht nur ums Hosten per se, sondern darum, ein Werkzeug zu kultivieren, das einen Beitrag zu einer menschengerechteren Welt leistet.
Und wenn ich noch kein Host bin?
Auch ohne Training kannst du die ersten zwei Punkte, nämlich dich selbst zu hosten und dich in gute Gespräche einbringen, auf jeden Fall üben. Das würde die Gesprächskultur und damit die Ergebnisse in vielen Unternehmen, Verwaltungseinheiten, Vereinen oder Familien erheblich verbessern.
Und um zum Abschluss noch einmal Toke im oben genannten Kurzfilm zu zitieren: Es ist “eine Einladung an jeden Menschen auf dem Planeten, unsere Menschlichkeit zu üben”. Und das braucht kein formelles Training.
Lasst uns gemeinsam Räume für gute Gespräche schaffen,
Ilse