Nach den Grundlagen zum Kreis erzähl ich euch diesmal von meinen Erfahrungen und Geschichten mit dem Kreis. Wie es kommt, dass ich ihn anfangs gar nicht identifiziert hab und was ich seither erlebt habe. Klingt komisch? Lies weiter, was es damit auf sich hat und was du für deine Meetings und Gespräche daraus mitnehmen kannst.
Von Dörfern und Kindern
Der Kreis war natürlich auch ein zentraler Punkt im Art of Hosting-Training, an dem ich 2012 in Wien teilgenommen habe. Und ich war – so komisch es klingen mag – überrascht. Aber das festzustellen hat einige Zeit gedauert. Lass es mich so erklären, wie ich es mir selbst erklärt habe: Der Kreis war für mich immer da. Es war die Form, in der wir Kinder in meinem Dorf unsere Pläne geschmiedet haben. Es war die Form, die bei der Katholischen Jugend und auf den Reisen nach Assisi alle um das Feuer gehalten hat – manchmal ein wirkliches, wärmendes, manchmal eines, das als Frage in der Mitte gebrannt hat.
Vor allem war der Kreis für mich immer präsent, als ich die ökumenische Gemeinschaft von Taizé im französischen Burgund kennengelernt habe. Die Tausenden Jugendlichen, die sich dort im Sommer Woche für Woche treffen, sitzen… genau: im Kreis oder genauer gesagt in vielen kleinen Kreisen. Um über Gott und die Welt zu reden, um zu besprechen, wie das gemeinsame Leben auf dem Hügel organisiert wird und um sich für später zu vernetzen. Dort war es auch ganz normal, dass eine Wasserflasche oder sonst irgendetwas Greifbares als “Mikrofon” – heute würde ich “Redestück” sagen – verwendet wurde.
Etwas Selbstverständliches benennen
Der Kreis scheint also etwas Natürliches zu sein. Und es fasziniert mich, wie Ann Linnea und Christina Baldwin von PeerSpirit den Kreis aufgearbeitet, analysiert und zerlegt haben. Ihr Buch “Circle: Die Kraft des Kreises” listet viel von dem auf, das ich früher intuitiv gespürt habe. Die beiden Frauen in ihrer Klarheit und starken Präsenz im Wiener Salon und beim Circle Gathering in Deutschland im Herbst 2017 persönlich erleben zu dürfen, war dann wirklich noch das Tüpfchen auf dem i.
Kreis ist dabei nicht immer ein wirklicher Kreis: Bei einem Teambuilding hatte ich vor dem Beginn mit dem freundlichen Herrn, der den Saal herrichtete, eine Diskussion. Er war der Meinung, er könne in diesem Raum keinen Kreis machen. Wir haben uns dann auf ein Ei geeinigt, was ihm seine Arbeit erleichtert hat :-).
A leader in every chair
In unterschiedlichen Kreisen, die ich gehostet habe, habe ich immer wieder dieselbe Erfahrung gemacht: Schon allein die Tatsache, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Abteilung dieser EU-Agentur, einer Arbeitsgruppe, einer NGO oder einer zufällig zusammen gewürfelten Gruppe im Kreis gesessen sind, hat es deutlich gemacht: Die Führung erfolgt von jedem Stuhl aus. Schon die Sitzordnung ändert das Zuhören, das Sprechen und die Präsenz jeder einzelnen Person.
Geteilte Verantwortung
Dass von jedem Sitzplatz aus geführt wird, hat auch den Effekt, dass alle verantwortlich sind. Es gibt zwar diejenigen, die einladen. Sitzen aber alle einmal im Kreis, sind sie auch alle automatisch fürs Funktionieren zuständig. Als Host erlebe ich das jedes Mal auch körperlich, diesen Moment, in dem die Gruppe selbst den Kreis übernimmt und ihn hält.
Geballte Energie
Ein Kreis-Highlight war für mich auch ein Moment in der Vorbereitung des großen World Cafés am Unternehmertag der Wirtschaftskammer Tirol in Innsbruck. Bei uns im Harvesting-Team war plötzlich überhaupt nichts mehr klar: Wie würden wir am darauf folgenden Tag die Rückmeldungen von rund 500 Menschen im Saal auf der langen Wand ordnen, ohne dass wir im Chaos untergehen?
In dieser Situation hat es sich ganz natürlich ergeben, dass wir acht Leute uns in einen Kreis gestellt haben und die Welt im Congress Innsbruck rundherum vergessen haben. Das Ergebnis dieser wenigen Minuten war die Grundlage für die Kohärenz im Team und das Gelingen der Arbeit. Ein Kreis kann also auch ganz spontan, von allen gehostet und so gut wie ohne Regeln stattfinden.
Vertrauen in den Kreis
Was ich auch gelernt habe, ist, dem Kreis zu vertrauen. Er funktioniert. Wichtig ist natürlich die Einladung und das Rundherum, die Basis also. In einem Eröffnungskreis im Waldviertler Salon im Sommer sagten etwa die Hälfte der Anwesenden: “Ich bin müde.” Am Ende waren sie voller Energie…
Check-in fürs Hosting Team
Ein entscheidender Moment für jedes Hosting ist für mich der Check-in des Hosting Teams vor Beginn einer Veranstaltung. In diesem kleinen Kreis werden Intention und Grundton für den Verlauf in der gehosteten Gruppe gesetzt. Das funktioniert auch mit Teams, in denen gar nicht alle Hosts sind. Dann bekommt dieser Kreis einfach einen anderen Namen ;-). Bisher habe ich noch niemanden erlebt, der oder die diese Verbindung nicht geschätzt hätte.
Er wird – wieder – natürlich
Kreise haben für mich etwas Heimeliges, etwas von Nach-Hause-kommen. Dasein und Zuhören – egal, ob es um Abläufe im Team geht, um die Lösung einer praktischen Frage, das Lösen eines Konflikts oder ein eher philosophisches Thema. Der Kreis umschließt dieses Zentrum, um das wir uns versammeln und lässt die Außenwelt für einen Moment vergessen.
Eine richtige Kraftquelle ist der Thursday morning coffee, ein Kreis, der sich wöchentlich hier in Brüssel für eine Stunde trifft und sich darüber austauscht, was gerade ist. Viele von den Teilnehmenden sind Hosts, andere nicht. Die Themen kommen aus dem Kreis und entstehen im Laufe des Gesprächs.
Mit dem Kreis holen wir uns wieder etwas Natürliches zurück in unser Leben.
Lasst uns gemeinsam Räume für gute Gespräche schaffen,
Ilse